Bundesinnenministerium zu Verfahrensfrage
Schreiben B. Rothe an das Bundesinnenministerium (nachricht- lich: u.a. Minister, MdLs in SN-ST-TH) vom 27. Februar 2013
Betr.: Zulassungsfähigkeit eines Volksbegehrens in den in Thüringen und Sachsen-Anhalt gelegenen Teilen der Metropolregion Mitteldeutschland
Sehr geehrter Herr Bundesminister Dr. Friedrich,
da die Durchführung eines Volksbegehrens zur Länderneu- gliederung nach dem Gesetz zu Art. 29 Abs. 6 GG bei Ihnen zu beantragen sein wird, bitte ich Sie um eine Zusage, dass nachfolgende räumliche Bezugnahme im Zulassungsantrag zulassungsfähig ist.
"Für den zusammenhängenden, abgegrenzten Siedlungs- und Wirtschaftsraum, bestehend aus:
1. den kreisfreien Städten: Erfurt, Gera, Jena und Weimar, Kreisen: Altenburger Land, Gotha, Greiz, Ilm-Kreis, Saale-Holzland- Kreis, Saale-Orla-Kreis, Saalfeld-Rudolstadt, Sömmerda und Weimarer Land des Landes Freistaat Thüringen
2. den kreisfreien Städten: Dessau-Roßlau, Halle (Saale) und Magdeburg, Kreisen: Anhalt-Bitterfeld, Börde, Burgenlandkreis, Jerichower Land, Mansfeld-Südharz, Saalekreis, Salzlandkreis und Wittenberg des Landes Sachsen-Anhalt soll eine einheitliche Landeszugehörigkeit herbeigeführt werden, indem aus den unter Nummer 1 bis 2 genannten Gebietsteilen der Länder Freistaat Thüringen und Sachsen-Anhalt ein neues Bundesland Sachsen-Anhalt-Thüringen gebildet wird."
Wenn Sie es für erforderlich halten, dass ich im Vorfeld Ihrer Entscheidung über meinen Antrag bereits mit der Unterschriften- sammlung beginne, bitte ich Sie um einen entsprechenden Hinweis
und werde einen ersten ausgefüllten Unterschriftenbogen einreichen.
Mein Anliegen ist zu vermeiden, dass sich eine bereits erfolgte Unterschriftensammlung als unrechtmäßig herausstellt. Eine nachfolgende Feststellung der Unwirksamkeit des Antrags auf Zulassung des Volksbegehrens wäre geeignet, das Anliegen einer Länderfusion im mitteldeutschen Raum zu diskreditieren, auch wenn in einem zweiten Anlauf eine rechtlich einwandfreie Definition des Eintragungsraumes gewählt wird. Daher bitte ich Sie um Klärung dieser Rechtsfrage schon im Vorfeld der Unterschriftensammlung.
In diesem Zusammenhang mache ich auf die gesetzlichen Fristen für Beginn und Durchführung von Volksbegehren nach erfolgter Unterschriftensammlung aufmerksam. Die Eintragungsfrist beim Volksbegehren beginnt gemäß § 25 Abs. 1 G Artikel 29 Abs. 6 frühestens einen Monat und spätestens zwei Monate, nachdem Sie dem Antrag stattgegeben und ihn mit Ihrer Entscheidung im Bundesgesetzblatt veröffentlicht haben. Die Amtseintragung dauert nach geltender Rechtslage nur zwei Wochen, in denen die Mitwirkung von 10 % der Wahlberechtigten erforderlich ist, was nur in Bayern gelingt.
Damit beim Volksbegehren eine reelle Erfolgsaussicht besteht, muss schon während der Unterschriftensammlung für den Zulassungsantrag eine intensive Öffentlichkeitsarbeit stattfinden, statt erst in den kurzen Fristen nach der Entscheidung über den Antrag. Bei einer Nichtzulassung würde sich diese Kampagne als kontraproduktiv erweisen.
Nach meiner Auffassung, die ich auf Nachfrage näher erläutere, ist die Zulässigkeit der räumlichen Bezugnahme für das eingangs beschriebene Volksbegehren zu bejahen. Bedenken sind möglich im Hinblick auf Art. 29 Abs. 4 GG, wonach es sich um einen "zusammenhängenden, abgegrenzten Siedlungs- und Wirtschaftsraum" handeln muss.
Ob es sich hier um einen "zusammenhängenden" Raum handelt, kann in Frage gestellt werden, weil die Metropolregion Mitteldeutschland aus elf Städten besteht und diese bis auf Zwickau kreisfrei sind. Das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) zählt jedoch zur Metropolregion Mitteldeutschland die angrenzenden Gebiete mit hinzu. Als Anlage beigefügt ist die BBR-Karte "Abgrenzung der Metropolregionen 2010".
Ob es sich um einen "abgegrenzten" Raum handelt, kann in Frage gestellt werden, weil der im Freistaat Sachsen gelegene Teil der Metropolregion Mitteldeutschland nicht einbezogen ist. Dies kann jedoch im Rahmen einer Volksbefragung erfolgen. Wenn in den zu Thüringen und Sachsen-Anhalt gehörenden Gebieten ein Volks- begehren erfolgreich war, kann der Gesetzgeber zusätzlich zu einer Vollfusion dieser beiden Länder gemäß Art. 29 Abs. 5 GG die Einbeziehung Sachsens zum Befragungsgegenstand machen.
Das Volksbegehren hat politisch eine Fusion mit Wirkung vom 1. Januar 2020 zum Ziel, was ich bei der juristischen Bewertung zu berücksichtigen bitte. Gemäß Art. 143 d GG sind ab dem 1. Januar 2020 die Vorgaben des Art. 109 Abs. 3 GG einzuhalten, also der Haushaltsausgleich grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten. In diesem Kontext ist die Kann-Vorschrift des Art. 29 Abs. 1 GG auszulegen, damit "die Länder nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können."
Bei einer Länderfusion geht es um weit mehr als das Thema Haushaltskonsolidierung. Es geht um eine wirksame Aufgaben- erfüllung beispielsweise des Verfassungsschutzes. Denkbar ist, dass die Taten des NSU-Trios früher bekannt geworden wären, wenn es einen gemeinsamen Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt-Thüringen gegeben hätte. Ein Anhaltspunkt ist der Umstand, dass ein vom Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt angeworbener V-Mann im Adressbuch eines NSU-Mitglieds aufgetaucht ist.
Abschließend möchte ich auf den Vorschlag eines Gesetzentwurfes zur Änderung des Ausführungsgesetzes zu Art. 29 Abs. 6 GG aufmerksam machen, den ich mit Schreiben vom 1. Februar 2013 an alle Mitglieder von Bundestag und Bundesrat versandt habe: http://www.neugliederung-bundesgebiet.de/novelle-g-art-29-abs-6/ Auch der Abschnitt 'Volksbegehren in Regionen' der Homepage erhält weitere Ausführungen zum Thema.
Mit freundlichen Grüßen
Bernward Rothe
Antwortschreiben von Dr. Christoph Bergner, MdB, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, vom 15. April 2013:
Sehr geehrter Herr Kollege, lieber Herr Rothe,
für Ihr Schreiben vom 27. Februar 2013 an Herrn Minister Dr. Friedrich, in dem Sie sich für ein Volksbegehren über die Zusammen- legung von Gebietsteilen der Länder Sachsen-Anhalt und Thüringen zu einem neuen Land aussprechen, danke ich Ihnen. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass der Bundesminister des Innern die von Ihnen erbetene Vorabfeststellung über die Zulässigkeit eines solchen Vorhabens jedoch nicht treffen kann.
Das Gesetz über das Verfahren bei Volksentscheid, Volksbegehren und Volksbefragung nach Artikel 29 Abs. 6 des Grundgesetzes und die hierzu erlassene Durchführungsverordnung sehen eine Prüfung der Zulässigkeit vor Stellung des Antrags auf Durchführung des Volksbegehrens aus guten Gründen nicht vor. Die Diskussion über Zweckmäßigkeit und Nutzen eines Volksbegehrens muss zunächst in den betroffenen Ländern geführt und ein entsprechendes Begehren ggf. dort initiiert werden. Der Bund hat weder die Aufgabe noch einen Anlass, hierzu Stellung zu beziehen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Christoph Bergner